Im heutigen #femfriday-Interview stelle ich Euch die Dirigentin Anna Skryleva vor. Leider sind Dirigentinnen noch immer eine Seltenheit. Anna arbeitet aber daran, dass sich das ändert. Hier ein Porträt über eine sehr spannende Frau.
Anna Skryleva wurde in ihrer Heimatstadt Moskau am Tschaikowsky-Konservatorium als Pianistin ausgebildet. 1999 kam sie nach Berlin um ihr Klavierstudium an der Universität der Künste bei Prof. Klaus Hellwig fortzusetzen. Später nahm sie Dirigierunterricht bei Prof. Lutz Herbig in Düsseldorf und ist seitdem als Opern- wie auch Konzertdirigentin gleichermaßen aktiv.
Im November 2015 wurde Anna Skryleva als eine von sechs Dirigentinnen weltweit, für die Teilnahme am Mentorenprogramm des Institute for Women Conductors an der Dallas Opera ausgewählt und daraufhin in der Spielzeit 2016/2017 als Gast an der Dallas Opera engagiert. Ab August 2019 ist Anna Skryleva die Generalmusikdirektorin des Theaters Magdeburg.
Zwischen 2007 und 2015 wurde sie als Assistentin und Kapellmeisterin an führenden Opernhäusern Deutschlands engagiert: u.a. Oper Köln, Staatsoper Hamburg, Staatstheater Darmstadt. Im Juni 2015 gastierte Anna Skryleva mit der Darmstädter Produktion von Madame Butterfly am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. In der Spielzeit 2019/2020 übernimmt sie an der Königlichen Oper Stockholm die musikalische Leitung der Produktionen von Die Zauberflöte und Der Nussknacker.
Seit der Spielzeit 2015/2016 widmete sich Anna Skryleva insbesondere dem Konzertbereich. Sie gastierte u.a. bei der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz, beim Philharmonischen Orchester OFUNAM und dem Jugendorchester Eduardo Mata in Mexiko, der Norddeutsche Philharmonie Rostock, beim Bodenseefestival, beim hr-Sinfonieorchester, dem Aarhus Sinfonieorchester und der Kopenhagener Philharmonikern in Dänemark sowie bei der Magdeburgischen Philharmonie.

Wie kamst Du zum Beruf Dirigentin?
Dirigieren ist ein sonderbarer Beruf: es ist nie zu früh und nie zu spät damit anzufangen. Einige wissen schon seit klein auf, dass sie Dirigent/in werden möchten und beginnen ihr Studium schon mit 17-18 an einer Musikhochschule. Bei mir war es tatsächlich anders. Als kleines Kind war es zwar mein größter Wunsch, auf der Bühne zu stehen und Musik machen. Nur habe ich erstmal Klavier gespielt und komponiert. Dann wurde ich in meiner Heimatstadt Moskau als Solopianistin ausgebildet und bin 1999 nach Deutschland gekommen, um mich als Pianistin fortzubilden.
Das Leben entscheidet manchmal einfach für dich.
2002 habe ich eine Dirigentin kennengelernt, Alicja Mounk und wurde zu ihrer Assistentin an der Hochschule für Musik in Karlsruhe.
Alicja hat mich gefragt, ob ich nicht Dirigieren studieren möchte.
Ich fand dieses Angebot erstmal sehr spannend, ohne es ernst zu nehmen. Nun hat mich dieser Prozess, mit vielen Menschen Musik zu machen und vor allem an einem künstlerischen Ziel gemeinsam zu arbeiten, so fasziniert, dass es mir sehr schnell klar wurde – das ist meine Welt!
Da ich sehr gut Klavier spielen konnte, vor allem alles vom Blatt spielen konnte, war es für mich einfach einen Job als Repetitorin an verschiedenen Opernhäusern zu bekommen. Und so war ich schon im Beruf, konnte viel Repertoire lernen, mit anderen Dirigenten und vor allem Dirigentinnen arbeiten (Simone Young, Julia Jones, Karen Kamensek), viele Erfahrungen hinter der Bühne und später sogar im Orchestergraben sammeln. Parallel dazu habe ich Dirigierunterricht beim Professor Lutz Herbig in Düsseldorf genommen.
Jetzt, wo ich international mit verschiedenen Orchestern arbeite und meine erste Spielzeit als Generalmusikdirektorin am Theater Magdeburg vorbereite, verstehe ich, dass es für mich der richtige Weg war. Weil Dirigieren eine Symbiose aus deiner menschlichen und musikalischen Erfahrungen ist.

An welchen Moment in deiner Karriere erinnerst Du dich besonders gut?
Es gibt tatsächlich Momente, die dich dein ganzes Leben prägen. Einer davon ist, wie ich oben erzählt habe, meine Begegnung mit Alicja Mounk. Dieser Moment hat mein ganzes Leben verändert. Es gibt auch andere wichtige Momente: da ich zum Dirigieren durch „Zufall“ kam, war ich am Anfang selber skeptisch, ob Frauen diesen Beruf gut ausüben können. Damals gab es noch nicht so viele Dirigentinnen. Im Gegensatz zum heute, wo so viele hochbegabte junge Dirigentinnen international unterwegs sind! Ich war in einer Vorstellung von Wagners Fliegender Holländer an der Staatsoper Berlin, die Simone Young dirigiert hat.
Noch heute kann ich mich sehr gut an diese Vorstellung erinnern. Es war musikalisch in einem Atemzug. Dazu konnte ich ab und zu Simone Young über dem Orchestergraben sehen, wie sie das Orchester beherrschte und manchmal selber wie ein Sturm über die Musiker aufzog.
Von da an wusste ich, dass Frauen ganz tolle Dirigentinnen sein können und ich habe mir damals ganz fest gewünscht, diese Frau irgendwann kennenzulernen.
Einige Jahre später war ich Assistentin bei Simone Young an der Hamburgischen Staatsoper, bei solchen Produktionen wie Der Ring des Nibelungen, Arabella, Parsifal und vielen anderen.
Was macht Fempowerment für Dich heute aus?
Ehrlich gesagt, habe ich darüber nie nachgedacht. Dieser Begriff klingt für mich sogar etwas aufgesetzt und aggressiv. Vor allem, wenn er mit „Macht“ und „Herrschaft“ interpretiert wird.
Ich denke, viel wichtiger ist es, natürlich und gelassen zu bleiben. Voraussetzung dafür ist dein Handwerk zu beherrschen und genau wissen, was und wo dein Ziel ist und wie du dahin kommst.
Flexibilität ist auch ein wichtiger Begleiter auf dem Weg zum Ziel.
Heute haben Frauen viel mehr Möglichkeiten. Es ist aber noch nicht in allen Ländern selbstverständlich, dass Frauen genau so wie Männer behandelt werden. Es hängt leider meistens von dem sozialen Niveau einer Gesellschaft ab.
In welchen Momenten deines Jobs wärst Du lieber ein Mann?
Bis heute war ich nie mit dieser Frage konfrontiert. Und ich geniesse es jeden Moment und in jeder Situation eine Frau zu sein. Auch wenn ich vom Orchester stehe, versuche ich nie einen Mann zu spielen.

Wenn die Frauenquote etwas bewirkt dann… bitte beende diesen Satz!
Diesen Satz kann ich nicht beenden, weil ich mit dem Thema „Frauenquote“ gespaltene Gefühle habe. Einerseits ist es gut, dass man auf der politischen Ebene darüber denkt, den Frauenanteil zu erhöhen. Anderseits müssen wir Frauen noch mehr beweisen, dass wir uns die Positionen erst durch unsere Leistung und nicht durch eine Quote verdient haben.
Was können wir Frauen tun, damit sich die Wahrnehmung auf unser Geschlecht am Arbeitsmarkt ändert?
Vernetzung ist ein wichtiger Begriff. Wir Frauen müssen verstehen, dass wir uns gegenseitig unterstützen und austauschen müssen.
Du bist Mutter einer Tochter. Wie lief das mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den vergangenen Jahren bei euch?
Mein Glück ist, dass ich einen richtigen Partner kennengelernt habe, der volles Verständnis für meinen Beruf hat.
Mein Mann ist selber Opernsänger und weiß, wie viel Zeit und Hingabe dieser Beruf fordert.
Als unsere Tochter klein war, mussten wir im Voraus immer gut organisieren, dass eine Kinderfrau sich um sie kümmert.
Es ist nie die richtige Zeit, Kinder zu haben, wenn man beruflich erfolgreich sein möchte. Nun muss man die Entscheidung treffen und durch Selbstdisziplin kann man alles hinbekommen.
Was würdest Du jungen Kolleginnen auf ihrem Karriereweg mitgeben?
Ganz wichtig ist es, sich selbst im Klaren zu sein, dass dies dein Weg ist. Denn es sind nicht nur „goldene Treppen mit Rosen“, die dich begleiten. Man muss auch für Rückschläge gerade stehen und daraus seinen Vorteil ziehen. Wach bleiben und viel analysieren, was bedeutet, aus den Fehlern der anderen zu lernen.
Immer wissen, dass wir mit Menschen arbeiten. Heute bist du der Boss und morgen kann dein Assistent dein Arbeitgeber werden!
Beschreibe Dich in drei Worten.
Das sollen meine Kollegen oder meine Familie tun…
Hast Du Lebensmotto, wenn ja, wie lautet es?
Deine Welt ist dein Spiegel. Das, was du ausstrahlst, wird in jedem Fall auf dich zurück kommen.

Was liest Du derzeit?
Bin jetzt mit Dostojewskis „Das Gut Stepantschikowo“ beschäftigt. Ich lese aber oft deutsche Literatur. Ich versuche immer, nach einem russischen Buch ein deutsches zu lesen und umgekehrt.
Wer mehr über Anna erfahren möchte, besucht ihre Homepage und findet sie auf Facebook.

Fotos: Nils Böhme, Thomas Leidig
Kommentar verfassen