Wie digital ist die Kunst, ihr Cyberräuber?

Am heutigen #digitaldienstag habe ich das Künstlerkolletiv Die Cyberräuber, Björn Lengers und Marcel Karnapke interviewt.

Marcel Karnapke und Björn Lengers bilden seit 2016 das Künstlerkollektiv „CyberRäuber – Theater der virtuellen Realität“ (vtheater.net).
Sie verbinden Theater mit dem virtuellen Raum, bringen – oft gemeinsam mit anderen KünstlerInnen – digitale und virtuelle Welten ins Theater und das Theater auf virtuelle Bühnen. Sie erforschen neuartige Erzählmöglichkeiten und experimentieren mit Laserscans kompletter Bühnenbilder, dreidimensionalen Aufzeichnungen von SchauspielerInnen, Echtzeit-Bühnenbildern und mobilen Applikationen auf der Bühne.

Björn Lengers
Marcel Karnapke

Wie seid ihr die Cyberräuber geworden?
BL: Wir haben uns bei einer Veranstaltung über VR (Virtuelle Realität) und Film getroffen, beide dort die Meinung vertreten, dass VR viel interaktiver und echtzeitlicher als Film ist und daher viel mehr Verwandtschaft mit dem Theater hat. Und dann: don’t talk, do.
MK: Prinzipiell ging es bei der Veranstaltung auch darum, dass VR immer nur einzelnen Menschen etwas bietet. Dem haben wir widersprochen, denn wir glauben, die Zukunft von VR ist sozial und ein Gemeinschaftserlebnis, eben genau wie Theater.

Was war eure erste Begegnung mit der Digitalisierung?
BL: Ich habe eine Digitaluhr zur Erstkommunion bekommen und später meinen Eltern einen Commodore C64 „zum Programmieren lernen“ abgeschwatzt, der natürlich ausschließlich als Spielcomputer eingesetzt wurde.
MK: Ich habe den C64, den Amiga und die ersten Spielekonsolen in einem Computerclub gesehen. Das Einlegen von Audiocassetten, die klangen als würde man einer Katze auf den Schwanz treten und das daraus Zeilen von Text und Grafiken und am Ende ganze Welten auf dem C64 entstanden, war für mich absolute Alchemie.

Wie digital seid ihr im Alltag?
BL: Da wäre eigentlich erstmal zu klären, was das heißt, „digital sein“.
Ich bin schon ziemlich mit dem Smartphone verwachsen: Kommunikation, Social Media, Kalender. Und da wir derzeit an zwei Projekten gleichzeitig und remote arbeiten, sitze oder stehe ich den Großteil des Tages vor einem Display.
MK: Das würde jetzt zu weit führen, wenn ich alles aufzähle, aber man kann sagen, ich bin mit allen Sinnen massiv digitalisiert oder sogar augmentiert.
Meine Kopfhörer filtern aktiv Stimmen in der U-Bahn oder erzählen mir den Status meiner, in der Cloud arbeitenden Computer, lesen mir mit künstlichen Stimmen Artikel aus aller Welt vor und gängeln mich, wenn ich mich nicht genug bewege.
Und da hab ich das Smartphone noch nicht einmal angefasst!

Welche digitalen Bereicherungen wollt ihr nicht mehr missen?
BL: Die weltweite Vernetzung des Wissens und damit die Möglichkeit zu sehen, woran und wie andere Leute arbeiten. Twitter, Github, Colab.
MK: Um nur eine zu nennen, ich bin Podcastsüchtig.
Gerade weg vom Bildschirm zu sein und nur durch die Ohren und Gedanken in Geschichten einzutauchen, ist extrem schön und vorallem kann man es so toll in den Alltag einbauen; das nimmt dem Geschirrspülen doch gleich seinen Schrecken.

Auf welche digitalen Entwicklungen könntet ihr verzichten?
BL: Die Geburtswehen der neuen Zeit: Noch nicht gut entwickelte Diskussionskultur, Gesetzlosigkeit und Entmündigung.
MK: Totalüberwachung, damit einhergehende Steuerung durch Massenmedien, Trolling und das Live-Streaming von Gewalt.

Wie wählt ihr Stoffe für euer Digitaltheater aus?
BL: Da wir auch mit Stadttheatern arbeiten, teilweise gemeinsam mit ihnen. Beim Goldnen Topf, Memories of Borderline oder jetzt Fragmente | ein digitaler Freischütz kam der Vorschlag aus den Theatern.
Bei Verirrten sich im Wald gerade am DT (Deutsches Theater Berlin) war es eine gemeinsame Idee. Bei bisherigen freien Projekten haben wir uns zunächst mal an bekannten Stoffen (Schiller, Shakespeare) orientiert, gehen aber bei unseren kommenden Arbeiten andere Wege und entwickeln Stoffe selber zu den Themen Künstliche Intelligenz, Selbstermächtigung, Hilflosigkeit

Verirrten sich im Wald/ Deutsches Theater Berlin/ Foto: Arno Declair

Gibt es ein Prinzip, nach dem die digitale Umsetzung im Bühnenraum funktioniert?
BL: Ein Prinzip? Keine Ahnung. Wir sind eher Empiriker.
Wir glauben außerdem sehr an das gemeinsame Entdecken mit Künstlern verschiedener Disziplinen im Probenprozess. Eine Frage, die uns sehr beschäftigt:

Was ist denn eigentlich der Bühnenraum? Nach Peter Brook „Der leere Raum“?


VR ist eigentlich genau dieser „empty space“, aber wir machen ja auch Theater mit digitalen Mitteln auf der klassischen Bühne.
Und da ist sicherlich das Thema „Echtzeit“ wichtig: Digitales auf der Bühne sollte durch die Handlung der SpielerInnen und / oder ZuschauerInnen entstehen und nicht geskriptet sein.
MK: Da könnte man fast fragen, ob es ein Prinzip der Digitalität gibt?
Wir beschreiben unsere Arbeit sehr oft als eine Suchbewegung, da wir mit Medien arbeiten, für die es noch keine, bis wenige Erfahrungen gibt, sind wir bemüht Experimente zu wagen deren Ausgang auch ein Scheitern sein darf.
Eigentlich kommen wir oft an Grenzen, untersuchen diese und fragen uns, ob es Wege gibt, diese aufzuweichen, Dinge zu Verknüpfen und neue Perspektiven zu öffnen. Oft sind wir selbst total überrascht, wieviel man den Spielern und dem Publikum zutrauen kann und wieviel Gedachtes am Ende gut und solide funktioniert.

Wie geht ihr mit der ethischen Debatte des „Entzauberns“ oder dem „Verrat am Theater“ um, die in Bezug auf digitale Bühnenformate aufkommt?
BL: Gibt es diese Debatte wirklich? Ich glaube nicht, aber wir würden sie gerne führen. Im Moment ist es aber, nach meiner Wahrnehmung er so ein mürrisches „Naja“.
Es gibt mal ehrlich, niemanden, der sich mit der Aussage: „Digitales hat auf der Bühne nichts zu suchen“ profilieren möchte.
Was auch albern wäre. Wenn ich mir Probenprozesse und Produktionsprozesse im Theater angucke: Da läuft doch alles schon voll digital. Ohne Dropbox, Wetransfer, digitaler Sound-, Video-, Lichtsteuerung läuft nichts mehr, auf der Probebühne sind ständig mindestens vier Notebooks geöffnet.
Und „Verrat am Theater“? Dafür müsste man doch erstmal definieren, was Theater ist. Meine Erfahrung ist: Wenn ich zehn Menschen frage, was Theater ist, bekomme ich zehn verschiedene Antworten.

Man kann das Theater zum letzten Hort des „Analogen“ ausrufen, aber dann zieht man natürlich ins Reservat, weg von der Gesellschaft und weg von den Menschen.

Mir gefällt nicht, wenn Theater und Theatermenschen vor allem im Verteidigungsmodus sind, nur bewahren wollen oder Angst vor Veränderung haben. Wir wollen auch verzaubern, und ich empfinde, das was wir tun, eher als Dienst am Theater, als notwendige künstlerische Forschung.
MK: Ich habe absolut kein Problem damit jede Form von Technologie aus dem Theater zu verbannen. Man kann tatsächlich über alles „reden“.
Das bedeutet: Treffende Texte formulieren, spannende Fragen stellen und auch Technologien wie virtuelle Realität eignen sich prima, um komplett auf der Bühne behauptet zu werden.
Für mich gibt es absolut keinen Zwang diese Mittel einzusetzen um eine Geschichte zu erzählen. Ich schließe mich allerdings Björn an, dass ich es als wichtig empfinde, das sich Theater der Digitalität unseres Lebensalltags nicht verstellen – im Gegenteil – ich denke das Theater als Ort der Künstlerischen Betrachtung und Auseinandersetzung, kann hervorragend dazu genutzt werden Dinge sichtbar, spürbar und erfahrbar zu machen. Um uns neue Perspektiven zu ermöglichen.

Für mich ist die Digitalität der Welt und das Entwickeln von Software oft vergleichbar mit Radioaktiver Strahlung. Man riecht sie nicht, man schmeckt sie nicht und spürt sie nicht, dennoch umgibt sie uns, hat massiven Einfluss, birgt enorme Potentiale aber auch große Risiken.


Wie können wir als Künstler helfen, Menschen den Zugang zu solchen Welten zu öffnen, damit wir zumindest den Diskurs in der Gesellschaft wagen können!?

Marcel & Björn sind die Cyberräuber

Wie sieht für Euch das Theater der Zukunft aus?
BL: Gar nicht so sehr unterschiedlich, wie das der vergangenen 3000 Jahre: DarstellerInnen erzählen live Menschen Geschichten im Raum.
Und was das jeweils genau ist, wandelt sich ständig. Ich persönlich bin mir zum Beispiel nicht sicher, ob Theater als notwendige Bedingung einen physischen Ort, eine physische Bühne braucht.
Ko-Präsenz und Szenografie lassen sich auch anders erzeugen. Und es ist interessant, daran zu arbeiten. Jedenfalls bin ich überzeugt:
Das Theater hat seine besten Zeiten noch vor sich!
MK: In meinen kühnsten Visionen träume ich vom Cybertheater.
Einer Welt, in der das Publikum von überall auf der Welt einfach via virtueller Realität dazukommen und am Schauspiel aktiv oder passiv teilnehmen kann.
Auch die Schauspieler befinden sich an verschiedenen Spielplätzen auf dem Globus, treffen sich auf Bühnen, die zu Welten geworden sind und nehmen uns mit auf eine Reise in Ihre Köpfe, Mäuselocher oder schweben mit uns zusammen über den Dächern einer Stadt der Zukunft.
Klingt alles total abgehoben, aber haben wir schon ausprobiert, im Jahr 2018.
Scheint so als wäre die Zukunft schon heute, Sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt.

The Memories of Borderline / Schauspiel Dortmund / Regie: Kay Voges, Cyberräuber
Die Biene im Kopf von Roland Schimmelpfennig Regie + Bühne: Martin Grünheit Programmierung + Virtual Reality: CyberRäuber Foto: Christian Brachwitz

Quellen: DT, Cyberräuber, Schauspiel Dortmund, Theater an der Parkaue

Beitragsbild: Christian Brachwitz Biene im Kopf am Theater an der Parkaue

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