Scheitern, scheitern, besser scheitern!

Noch ein Texte über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf

In meiner Internetblase geht es viel um Kunst. Theater, Filme und Literatur. Leider aber auch immer wieder um ein leidiges Thema, das mir schwer auf die Nerven geht, im Internet aber ebenso im ganz privaten Alltag. Worte die mir ständig begegnen, bei denen ich die Augen rolle.
Nein, es sind nicht Digitalisierung oder Genderpayday, sondern eindeutig das Wort „Vereinbarkeit“.

Zwei bis drei Texte über Vereinbarkeit von Familie und Beruf pro Tag

Egal wo, ob online oder offline, begegnet mir täglich mindestens eine junge Mutter, am besten eine hippe Gründerin aus Hamburg oder Berlin, die eine Menge Kohle mit „ihrer eigenen Idee“ gemacht hat und sich nun den Traum von einer Familie erfüllt.
Am besten sind die Interviews von werdenden Müttern, die mit Babybauch in einem Cos-Kleidchen mit Cashmereschal erzählt, wie alles geregelt wird, wenn das Baby auf der Welt ist. Nicht wissend was da auf sie zukommt. Nicht wissend was es für ein Baby wird, nicht wissend wie es sich anfühlt sein Neugeborenes an eine Nanny/Oma/Kita zu geben.

Die Vereinbarkeit ist selbstverständlich möglich. Davon bin ich überzeugt. Nur leider bringt sie Gepäck mit. Ein bisschen wie ein mitdreißiger Kerl, der bereits geschieden ist und zwei Kinder hat.
Es geht alles, könnte romantisch werden hat aber seinen Preis.
Und genau da kommen wir zum zentralen Punkt der romantisch verklärten Vereinbarkeit. Sie hat ihren Preis und das im schlechtesten Sinne des Wortes.

Unser Beispiel:

Wir sind beide am Theater und betätigen uns seit einigen Jahren in der „brotlosen Kunst“. Wir proben morgens und abends. Dazwischen ist „Pause“. In unserem Fall heißt es Einkaufen, Kinderabholen, Spielplatz/Bauernhof und Kochen. Abends geht dann – bestenfalls- einer von uns zur Probe, der andere bleibt bei unseren Töchtern.
Gleichzeitig zu Proben ist kaum denkbar. Hatten wir EINMAL. Ich führe das nicht aus. War aber auch nur möglich weil beide am selben Theater. Da haben Kollegen von uns träumerisch geseufzt: „Das ist doch super!“. Es war nicht super. Unterstützung in Form einer Oma haben wir- ja und auch da seufzen viele Kollegen vor sich hin.

Doch auch die Omas kommen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Was ist also die Lösung? Babysitter. Ja. Jeden Tag. Inklusive Samstagvormittag.


Proben, Premieren, Matineen in der Kitafreien Zeit

Zu unseren Proben kommen weitere Veranstaltungen wie Premieren, Matineen oder Preisverleihungen. Alles in der kitafreien Zeit versteht sich. Man braucht die Babysitterin also erneut.

Hier wäre eine Nanny eine ideale Lösung. Ja? Ja und die kann man von der Steuer absetzen. Eine Nanny bedeutet man hat einen ständigen Gast im Haus, man braucht ein Zimmer für sie und dementsprechend Platz. Wieviel muss also verdient werden um das zu gewährleisten?

Beim Auflisten dieser ganzen Hürden, wird mir bewusst, wie oft und wie genau ich unsere Lebenssituation bereits durchleuchtet habe. Die Optionen abgewogen und wieder verworfen habe. Denn die Option, dass einer verzichtet ist keine. Und doch passiert es automatisch. Ich möchte hier keine feministische oder genderspezifische Debatte anfangen. Denn wie Frau ihr Leben gestaltet sollte in unseren Breitengraden mittlerweile Fraus Sache sein.

Ich wollte immer Mama werden und sein

Ich wurde früh schwanger, nutzte „ungewollter Weise“ die Zeit, in der ich noch zu jung für die ganz großen Aufträge war. Ich blieb nach drei sehr erfüllten Arbeitsjahren als Regieassistentin zu Hause. Dank des dauerhaften Kotzens fiel auch die Schwangerschaft als Pausieren im Job aus. Ich genoss die Ruhe, die freie Zeit und die komplette Entschleunigung sehr. Als Gretl auf die Welt kam, veränderte sich alles und nichts. Die Entschleunigung blieb, das Pausieren ebenfalls. Ein Jahr lang. Es war meine Entscheidung. Es war meine Zeit. Gretls und meine und niemand kann sie mir nehmen. Ich fühlte mich gut und richtig an diesem Platz.  Natürlich bewarb ich mich fleißig und bekam für nach der Elternzeit ein schönes Angebot. Alles wurde mit den beiden Omas und einer Tagesmutter perfekt organisiert.
Je näher der Termin des Probenbeginns rückte umso nervöser wurde ich.

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Hormoneller Kehlkopfdruck

Mich von meinem Gretlchen zu trennen fühlte sich an, als würde man mir auf den Kehlkopf drücken. Doch pünktlich zu ihrem ersten Geburtstag veränderten sich wohl meine Hormone und damit auch das Kehlkopfgefühl.

Die Organisation war das eine, die Logistik, der Drahtseilakt das andere. Hierbei darf nichts aber wirklich gar nichts schiefgehen. Vor allem darf niemand krank werden. Weder Oma noch Kind. Puffer für Staus oder Zugverspätung werden einkalkuliert. Playdates für den Nachmittag Wochen vorher ausgemacht, es wird abgestillt und vorgekocht.

Schlafmangel vs. Konzentration

Doch kommen wir zum für mich besonders wichtigen Aspekt dieser ganzen Debatte, die nichts mit den Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, nichts mit der Politik und nichts mit finanziellen Mitteln zutun hat. Dem Schlafmangel. Ich erinnere mich – obwohl viele Mütter das Gegenteil behaupten – noch ganz genau an die ersten Monate. Stillen, wickeln, bekotzt werden, Brustentzündungen und durchwachte Nächte. Wir hatten nächtlich Pech und zwar mit beiden Kindern. Tagsüber sehr pflegeleicht, fröhlich und entspannt.
Gretl war die etwas Entspanntere von beiden, brauchte aber exakt drei Jahre um nicht mehr mindestens zweimal pro Nacht zu rufen oder rumzuspazieren.

Ich habe fünf Jahre nicht geschlafen

Gretl schlief durch als Schischi auf die Welt kam. Nach drei Monaten Liegen wegen Komplikationen kam unsere kleine Schildkröte zur Welt und erschütterte uns noch mal in unseren Grundfesten. Bis zu 20x nachts wach und morgens um 7:00 unter Tränen der Erschöpfung, die andere Tochter für die Kita wecken, das manchmal allein, weil der Mann ja irgendwo inszenierte. Die Nächte. Erster und wichtigster Punkt warum ich kein drittes Kind will. Ein Dreijähriges würde ich nehmen.
„Entspannte Mütter bekommen entspannte Kinder!“ Ja das ist so.
Oder auch nicht. „Entspannte Kinder haben entspannte Eltern!“

„Entspannte Kinder haben entspannte Eltern!“

Komme ich zurück zur Vereinbarkeit:

Gehen wir davon aus, ich hätte Geld für Nanny und all die beruflichen Möglichkeiten. Wie hätte ich einen graden und eloquenten Satz formulieren können? Einen Text zu Ende bringen oder einen Schauspieler anweisen sollen? Mit welcher Kraft oder Konzentration? Ich konnte mich selbst ja nicht ernst nehmen, völlig übernächtigt und hormongesteuert. Darüber spricht kaum eine Mutter. Wäre ja eine Schwäche und die geben wir nicht zu. #workingmum

Ich verurteile keine Mutter, die ihren Beruf früh oder direkt nach der Geburt wieder aufnimmt, im Gegenteil, ich bewundere sie eher.
Denn ich wäre im Zuschauerraum oder am Computer eingeschlafen. Denn ein drei Monate altes Kind darf nachts eine Flasche oder die Brust wollen und „muss“ noch nicht durchschlafen.

Knapp ein halbes Jahr nach Schischis Geburt fing ich wieder regelmäßig an zu arbeiten. Mein Bedürfnis nach Arbeit, erwachsenen Menschen und Gesprächen ohne Unterbrechung war groß. Und auf einmal ist man wieder berufstätig. Und dann werden die Kinder krank. Und da ist er, der Tod der Vereinbarkeit.

Vorbilder unserer Zeit

Bei all der Beschäftigung in den Medien, Elternblogs, Podcasts und Talkrunden geht es darum Lösungen zu finden. Vorbilder spielen bei uns immer eine große Rolle. Darum gibt es so viele Influencer.
Influencer die uns auf Instagram vorleben wie sie leben. Und obwohl gerade in der Instagramblase mehr Realität gefordert und sogar umgesetzt wird, indem sich einige ungeschminkt und unperfekt zeigen, zu weniger Perfektionismus aufrufen, geben doch wenige zu wie es an der Front der Vereinbarkeit aussieht. Kein gutes Thema, bringt keine Klickzahlen. Verzeiht, das war polemisch.

Denken wir an Grey’s Anatomy: Meredith Grey bringt ihre drei Kinder täglich in die Betriebskita des Grey Sloan Memorial Hospital und keiner wundert sich, dass diese Kita ein klinisch sauberer Raum mit Plastikspielzeug in einem Krankenhaus ist. Und ja, das ist eine Serie, aber eine mit einer starken weibliche Hauptrolle (diese Kategorie gibt es wirklich!). Sollte da nicht bei all der Stärke, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, die Shonda Rhimes vielen jungen Frauen da draußen propagiert, ein realistischeres Bild gezeichnet werden. Realismus wird in dieser Serie nämlich großgeschrieben. Anders als bei meiner Freundin Carrie oder den Desperates Houswives.

Doch was wären Lösungen außerhalb von Shondaland?

Lösungen für dieses -wie wir sehen- internationale Thema sind: Ganztagstagsschulen, Coworking mit Kind, Betriebskindergärten, kostenlose Kinderbetreuung für Jeden, gleiche Elternzeit für beide Eltern, flexible Arbeitszeiten, vielleicht der 6-Stunden-Tag. Vorallem aber eine Gesellschaft, die weniger Druck auf Eltern ausübt, eine Gesellschaft, die Kinder mehr mit einbezieht.

„Scheitern, scheitern, besser scheitern“ um meinen großen Helden Harald Schmidt zu zitieren.
Für einfach mal sagen: SO geht es nicht!

Denn immer weiter an einem urbanen Mythos festzuhalten, in dem Mama und Papa sich morgens einen Kuss geben und fröhlich Kind eins bis vier in die verschiedenen Einrichtungen bringen, um danach in ein lichtdurchflutetes Büro zu fahren, Kunst zu machen, Menschen zu retten oder im Bundestag die Welt zu verändern, ist eine Szene aus dem Kinderfernsehen (oder Shondaland- is wahrscheinlich dasselbe) aber nicht eine meines oder eures Lebens.

Lösungen gern zu mir! Ich kanns kaum erwarten, dass sich was ändert.




2 Antworten zu „Scheitern, scheitern, besser scheitern!“

  1. Avatar von Andrea Schwalbach
    Andrea Schwalbach

    Da gibt es keine allgemein gültige Lösung. Jede Familie ist ein Mikrokosmos, jeder tickt anders. Ich habe gefühlt zur Steinzeit Kinder bekommen, genau vor 24 Jahren ohne Ganztagsschule Kita Elternzeit etc. Keine Ahnung ob das heute mit den drei Kindern und voll berufstätig leichter wäre? Wir haben außer bei unseren Freunden nicht sehen können wie es andere machen. Keine Influencer hat mir vorgelebt was eine perfekte Mutter ist. Wir haben das Prinzip Chaos und Improvisation gelebt und dabei Jahresgehälter für Kinderbetreuung ausgegeben. Mir war nur immer klar wenn ich zu Hause bleibe bin ich raus aus dem Regiegeschäft. Also war ich viel weg und musste mir grauslige Sachen, vornehmlich von Frauen anhören wie schädigend das für mein Kinder ist, mein Mann bekam so was nie zu hören. Am Ende sind die Kinder Theaterkinder, hochflexibel , kreativ und extrem selbstständige Erwachsene geworden. Ich habe das ganze immer als Freiheitskampf gesehen für mich und meine Familie. Den Anspruch das es dabei nett zu geht hatte ich irgendwie nie. Das Einzige Wichtige war immer nicht den Humor zu verlieren. Sorry ich habe keine Lösung, weil ich nicht glaube das es eine Allgemeingültige gibt, sondern jeder das rausfinden muss, bis dazu das der oder diejenige sagt das schaff ich nicht.

    1. Wie wahr, wie wahr liebe Andrea♥️


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